Braunbären in Finnland, ein Fotonächtebuch – Teil 2: Im Ansitz
- Aisen
- 2. Juni
- 10 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 3. Juni
Anderthalb Wochen vorher
Kurz vor der Reise lässt ein Spitalaufenthalt diese fraglich werden. Drei Tage vor dem Flug komme ich aus dem Krankenhaus raus. Soviel dazu, ich hab ja noch über eine Woche Zeit um gemütlich alles zusammen zu suchen und zu packen.
In den Flieger kann man als Handgepäck einen Carry-On-Bag (sprich Fotorucksack) von 55x40x23cm und eine kleine Bauch-Tasche 40x30x15cm von zusammen maximal 8 Kilogramm mitnehmen.

Im Fotorucksack transportiere ich das Canon EF 600mm F4.0 L IS III USM sowie Canon EF 300mm F2.8 L IS Mark II mit der Canon EOS R5 sowie alle Akkus und Konverter. (11.1kg)

In der Bauchtasche ist das Canon RF 15-35mm F2.8 L IS USM, Canon RF 28-70mm F2L USM sowie das Canon RF 70-200mm F2.8 L IS USM mit Canon EOS R5 MarkII. (5.2kg)
Dazu kommt noch ein Aufgabegepäck von bis zu 23kg mit den Massen 90x75x45cm mit zwei Stativköpfen (Benro 2, Novoflex ClassicBall 5 mit Tiltbrücke), Einbeinstativ, Ladegeräten und Kleidern. Vor allem warme Kleider. (17.5kg)

Zwei Tage vorher
Der gebuchte Flug wird gestrichen. Finnair streikt. Einfach scheint bei dieser Reise nichts zu funktionieren. Bei meinem Kollegen und mir kommt Hektik auf und wir belagern die Hotline der Fluggesellschaft und hören die Musik der Warteschlaufe. Nach mehr wie einer halben Stunde haben wir einen freundlichen Mitarbeiter der Airline am Apparat , welcher uns eine alternative Flugroute heraussucht.
Die Alternative ist nun am Montag um 10:30 in den Flieger Zürich-Warschau mit über fünf Stunden Wartezeit dort. Danach gehts weiter nach Helsinki und kurz vor Mitternacht dann nach Oulu. Voraussichtliche Ankunftszeit im Bearcentre ist 12 Uhr am Dienstag. 12 Stunden später wie geplant. Aber was sind schon 12 Stunden bei einer Reise ans Ende der Welt.

Montag 19. Mai 2025: Anfahrt
Der Flug von Zürich nach Warschau verlief ohne Zwischenfälle. Es bleiben fünf Stunden um den Flughafen in Warschau zu entdecken. Nach der Wanderung durch den Flughafen auf der Suche nach etwas essbaren wird es ein Burger mit Pommes, ein sogar sehr guter. Die Preise hier sind im Vergleich zu Zürich günstig.
Um ein Uhr landen wir nach dem Stop in Helsinki in Oulu, dem zweitgrössten Flughafen von Finnland.
In Oulu haben wir ein Auto gemietet, um nach Lentiira zu fahren. Und die Mietstation hat schliesslich 24h offen.
Hahaha….falsch gedacht.
Aber nicht am zweitgrössten Flughafen in Finnland, da machen sie um 23 Uhr zu und um sieben in der früh wieder auf. Achja, das Airporthotel Finlandia schliesst eigentlich den Check-In um 21 Uhr, aber sie hinterlegen im Schlüsselsafe die Hotelkarte für uns.
Dienstag, 20. Mai

Erwartet habe ich Schotterstrassen, es sind aber alles bis auf die letzten zwei Kilometer gut ausgebaute asphaltierte Strassen. Die Fahrt inklusive Einkaufen im Supermarkt dauert 3.5 Stunden.

Wir kommen um 12 Uhr beim Bearcentre in Lentiira an. Das Hotel ist mitten im Nirgendwo. Doch weder Ari noch sonstjemand ist vor Ort. Am Telefon teilt er uns mit, wo unser Zimmer zu finden ist. Was befremdlich ist, auch nachher kommt keiner der drei die den Ort betreiben auf uns zu, begrüsst uns und stellt sich vor. So wie man das sich als Schweizer vorstellt wenn man am Ende der Welt ankommt.

Die Gästezimmer haben eigene Duschen und Toiletten, alles sehr schlicht aber sauber. Die Zimmer vermitteln den ‚Charme ‘ der 70er Jahre. Gewisse Instandstellungsarbeiten sind auch notwendig, und dies nicht erst seit gestern.
Im Moment scheint nicht viel los und es sind neben uns noch vier Leute beim Nachtessen (D/IRL/GB). Dieses gibt es um vier am Nachmittag und danach erhalten wir eine Instruktion, wie man sich in den Hides verhalten soll. Weiter bekommen wir einen Rucksack mit Sandwichs, Snacks und warmem Wasser für Tee und Nescafé.
20. Mai: 1. Nacht, Hide 20

Danach gehts ab zu den Hides, die etwa 700 m entfernt sind. Die Hides sind kleine Hütten, in denen man nicht richtig aufrecht stehen kann. Sie sind ausgerüstet mit zwei Stühlen, zwei Pritschen mit Schlafsäcken und einer sehr kleinen Toilette (Eimer mit Toilettenring).

Im Vergleich zu einem Ansitz mit Zelt ist es schon ein ziemlicher Luxus. Hide 20 hat einen Holzboden und daher sind die Schuhe wegen dem Lärm auszuziehen. Es wird trotz zweier Paar Socken und Schlafsack verdammt kalt in der Nacht an den Füssen.

Die Hütte liegt 25 Meter entfernt von einem Weiher und rechter Hand ist ein Wäldchen entlang des Ufers. Die Hütte ist nach Westen ausgerichtet, das heisst sollte ein Tier vor Sonnenuntergang auftauchen, wird es im Gegenlicht zu sehen sein.
Ich montierte meinen Stativkopf auf ein Holzbrett mit einer vor Ort liegenden Gewindestange und dann warteten wir nur noch darauf, dass ein Tier auftauchte. Man kann während des Erlebnisses nicht viel reden, es gilt keinen Mucks oder Ton von sich zu geben.

Was ist die richtige Brennweite? Da man keine hektischen Bewegungen und Geräusche machen darf, muss man sich im Vorfeld auf ein Objektiv festlegen, zumindest wenn man wie ich mit Festbrennweiten unterwegs ist.
Zum Glück hat jeder von uns zwei Öffnungen und so kann ich zwei Kombinationen verwenden. An der R5 habe ich das EF 300mm f/2.8L IS II und an der R5mkII das EF 600mm f/4L IS III.

Die Bären und auch sonstige Raubtiere werden mit ausgelegtem Futter angelockt. Ohne das ausgelegte Futter würde man wahrscheinlich keinen Bären zu Gesicht bekommen. Die Saison hier ist von Mitte April nachdem sie ihren Winterschlaf beendet haben bis etwa Oktober.

Geduld bei der Wildtierfotografie ist unerlässlich. Bis 23 Uhr passiert gar nichts, danach zeigt sich ein Fuchs und um zwei Uhr in der früh eine Bärin mit vier Jungen.

Für das 600mm ist es etwas zu dunkel oder die Bären bewegen sich zu schnell, doch mit dem 300er gelingt das eine oder andere Bild.




Die Bären kommen immer näher und schlussendlich kratzt sich die Bärin vor unserer Hütte an einem Baum, doch das 300er ist zu weit, das 28-70 wäre jetzt ideal gewesen.


Aber es ist schon ein Erlebnis, wenn sich eine Bärin 5 Meter entfernt ihren Rücken kratzt und ihr Nachwuchs es ihr nachzumachen versucht. Nach 5 Minuten trotten die fünf weiter in den Wald und sind dann nicht mehr zu sehen.

Die Temperaturen lagen bei etwa 2 Grad. Um vier hält es mich nicht mehr auf dem Stuhl und ich leg mich hin und schlafe.
Nach 14 Stunden in der Hütte geht es um sieben durchgefroren Richtung Frühstück, unter die warme Dusche und ab ins Bett. Dieser Rhythmus wird uns noch vier Nächte begleiten.
21. Mai: 2. Nacht, Hide 27a

27a liegt am selben Weiher wie die 20 in der letzten Nacht, jedoch etwa 200 Meter versetzt und die Blickrichtung ist nach Westen.
Gemäss Wetterbericht soll es diese Nacht noch kälter werden wie die Letzte, und er soll recht behalten. Und es regnet, eigentlich kurz bevor es schneit.


Dafür müssen wir nicht sechs Stunden warten bis etwas passiert, bereits um halb sieben abends zeigt sich der erste Bär. Während anderthalb Stunden kommt er immer wieder mal und leert die Köder.

Kurz vor Mitternacht und praktisch keinem Licht zeigt sich ein Vielfrass. Ich versuche meinen Kollegen zu wecken, doch der schläft zu tief und verpasst den Wolverine.
Mir reicht es gerade mal für ein paar Erinnerungsfotos, es ist schlicht zu dunkel und der Vielfrass bewegt sich zu schnell. Am PC bin ich dann erstaunt, dass doch das eine oder andere Bild zustande kam.



Toll, eines von 150 Tieren in Norwegen hier zu sehen. Während dem Rest der Nacht ist nichts mehr los.
Auch heute gibt es zum Frühstück ein Buffet mit Müsli, Brot, Toast, Butter und Marmelade. Daneben hat es Zutaten wie gebratener Speck, Spiegelei, Pilze, Würste, weisse Bohnen uvm., schliesslich sind während unserem Aufenthalt auch viele Engländer, Schotten und Irländer hier.
Nach dem Duschen und Schlafen machen wir uns am Nachmittag auf eine Wanderung rund um den See (Erilampi) vor der Unterkunft. Was mir ein paar nasse Schuhe beschert, sie sind doch nicht so dicht wie gedacht.
22. Mai: 3. Nacht: Hide 4
Nach dem Nachtessen geht es in Richtung der Hide 4. Da diese Hütte an einem etwas anderen Ort liegt wie die bisherigen bringt uns Brian dorthin. Ein Spanier, welcher schon seit 4 Jahren hier hängen geblieben ist und hier arbeitet. Die Hütte ist direkt am See gelegen mit guter Sicht in den Wald und den Sumpf.

Wir sind noch am Einrichten, da holt der Fuchs bereits den ersten Köder. Bis sechs Uhr ist er noch zweimal da.



Um halb acht macht ein Bär seine Runde und begutachtet die leeren Holzboxen. Um halb elf sehen wir ihn zum letzten Mal seine Runde machen.

Das Wetter ist auch heute regnerisch und kalt mit 3 Grad plus Bise. Die Hütten sind nicht dicht und der Wind pfeift leicht durch.

Ich gewöhne mir an, auf die automatische Tiererkennung zu verzichten, zu häufig ist der Grashalm vor dem Tier scharf und dieses unscharf. Ich verwende immer häufiger den Spot-AF oder Einzelfeld-AF.







Zwischen Mitternacht und 3 Uhr schlafen wir beide und danach ist nichts mehr los. Es ist saukalt und der Thermoskrug mit dem heissen Wasser für Tee ist schnell leer.
Hier noch der Vergleich am Anfang noch aufgewärmt vom Abendessen und Hinlaufen und um fünf in der Früh nach einer eiskalten Nacht.


Tagsüber zeigt sich für einmal die Sonne, doch pünktlich zum Ansitzen kommt der Regen wieder, doch wenigstens ist es deutlich wärmer.
23. Mai: 4. Nacht Hide 1
Hide 1 bietet eine Sicht in drei Richtungen. Diese Öffnungen bieten unterschiedliche Hintergründe, erfordern aber auch zusätzliche Arbeit, um sich umzusehen und das Fenster zu wechseln. Und dabei soll man kein Geräusch machen. Auch nicht Fluchen weil ich mir den Kopf zum x-ten mal an einem Balken stosse. Diese Hütte hat die niedrigste Stehhöhe aller Hides.
In der Hütte angekommen müssen wir uns zuerst von ein bis zwei unserer Kleiderschichten entledigen, es ist richtig Warm mit zehn Grad und es bläst keine Biese.
Bären und Vielfraße können dem Versteck sehr nahe kommen. Eine Kamera schaut deshalb in Richtung des Teiches und eine in Richtung der Wiese.

Es gibt keine Betten und man muss die Matratzen zum Schlafen auf den Boden legen.
Um sieben erscheint ein Vielfrass, er ist allerdings so schnell weg wie er gekommen ist.

Um acht Uhr sind zwei Füchse in der Nähe und streifen durchs Unterholz. Hier lohnt sich die Sicht auf zwei Seiten.

Und ein Bär macht uns kurz vor neun die Aufwartung. Er scheint einen Kampf gehabt zu haben, denn hinten links fehlt ein Stück Pelz am Bein.


Das Wetter ist regnerisch, aber man friert nicht mehr und es reichen vier Lagen an Kleidung.



Um elf macht der männliche Fuchs seine letzte Runde. Bei dem Regen, ISO um die 20‘000 und 1/100s kommt doch noch etwas brauchbares heraus und die Farben sind erstaunlich gut.

Nur fünf Minuten danach zeigt sich der Bär nochmals und auch er läuft über die Wiese, welche durch die seitliche Öffnung einzusehen ist.



Wir schlafen von Mitternacht bis 3 Uhr, durch den Regen ist es eh zu dunkel um etwas zu sehen. Am Morgen geht es dann bei Regen in Richtung Morgenessen.
Heute ist Samstag und drei Finnen sind eingetroffen, dafür 2 Engländer abgereist. Wir sind heute 11 Personen in den verschiedenen Hides.
24. Mai: 5. Nacht, Hide 19

Die Hütte mit der Nummer 19 liegt 25 Meter entfernt von einem Weiher, rechter Hand ist Hide 20. Da die Tiere zwischen der Hütte und dem Ufer passieren können, hat die Hütte noch eine Öffnung knapp über dem Boden. Die Hütte ist nach Westen ausgerichtet, das heisst sollte ein Tier vor Sonnenuntergang auftauchen wird es im Gegenlicht sein.
Uns ist langweilig. Mangels Tieren gibt es Spiegelfotos.




Für einmal regnet es nicht und die Sonne scheint zwischen den Wolken durch, doch bis 23 Uhr zeigt sich kein Tier. Ab und an ziehen Nebelschwaden über den Teich. Um 23:15 zeigt sich der Bär mit dem Fleck am Hinterbein.

Kurz vor Mitternacht ist er ein zweites Mal da und steht an einem Baum. Danach lässt er sich nicht mehr blicken, obwohl die Hälfte der Köder noch da sind.



25. Mai: Versuch der Rhytmusfindung
Die letzte Nacht in einem Hide endet heute um sieben Uhr in der Früh. Wir versuchen nur drei Stunden am Tag zu schlafen und machen in der Nähe eine Wanderung.
Abends nach dem Packen verfolgen wir den Final Schweiz-USA der Hockey-weltmeisterschaft in Schweden. Leider wird es wieder 'nur' eine Silbermedaille für die Schweiz. Die Anderen draussen in den Hides haben allerdings die Goldmedaille geholt, so war doch Sonnenschein und die Bärenmutter war zwischen 4 und 5 Uhr in der Früh mit ihren Kindern auf der Wiese vor dem Hide 27 und danach spazierte sie bei den Hides 1 bis 6 noch durch.
Montag 26. Mai: Rückfahrt
Abfahrt ist heute morgen um acht und wir bringen das Auto am Flughafen in Oulu zurück. Auf der Fahrt dahin sehen wir noch einen jungen Luchs auf einer Wiese, welcher sich an einen Feldhasen anpirscht. Der Luchs scheint noch unerfahren zu sein. Der Feldhase entkommt ohne grosse Anstrengung.

Danach sind wir auf der Suche nach etwas essbarem in dem zweitgrössten Flughafen von Finnland. Wir haben mehr Erfolg wie der Luchs und erlegen unser Essen am Buffet des Flughafenrestaurants.

Der Flug geht um 14 Uhr 30 in Richtung Helsinki, wo wir etwas mehr wie eine Stunde Zeit haben um den Flug nach Zürich zu erreichen. Pünktlich um 18:30 setzt der Flieger von Finnair in Zürich auf.
Das Erlebte wird uns noch lange begleiten und trotz dem 14-stündigen Rumsitzen war es uns nicht langweilig. Es ist ein einmaliges Erlebnis, einem Braunbären so nahe zu sein oder einen Vielfrass zu Gesicht zu bekommen. Einzig das Wetter hätte besser sein können. Schönes Wetter scheint noch seltener zu sein wie einen Vielfrass zu sehen :-).
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