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Thuner Jesus Christ Superstar - Bericht und Fotostrecke zur Premiere

Text für imScheinwerfer: Daniel Fischer - Fotos: Andreas Isenegger


Siebtes Kapitel einer Erfolgsgeschichte

Vom 11. Juli 2009 bis zum 29. August 2009 wird auf der „schönsten Seebühne Europas" in Thun im 7. Jahr ein Musical, nämlich „Jesus Christ Superstar" gegeben. Dieses Jahr ist Thun sogar die einzige Seebühne der Schweiz, da die anderen hierzulande mehr oder weniger „zwangsläufig" pausieren.


Lassen Sie mich mit einem freiwilligen Geständnis - ich plappere nun ein Geheimnis aus - beginnen. Dieses Musical ist nicht unbedingt mein Lieblingswerk. Es thematisiert die Passionsgeschichte aus dem Neuen Testament und befasst sich mit dem Irren und Wirren der letzten sieben Tage im Leben Jesu. Das Stück gehört in die Kategorie der sogenannten „Religionsmusicals". 1972 überschwemmten gerade drei solcher Werke den weltweiten Musicalmarkt. So wurde das Werk „Godspell" - eine deutsch-schweizerische Produktion und Kooperation - von Stephen Schwartz gegeben und fiel mehr oder minder durch. Ein gewisser Lloyd Webber mit seinem Schulkollegen Tim Rice komponierten einerseits „Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat" sowie, nach dem Sachbuch des Erzbischofs Fulton John Sheen „Life of Christ", „Jesus Christ Superstar".


„Jesus Christ Superstar" ist damit das erste Werk von jenem Lloyd Webber, der inskünftig die Musicalgeschichte derart beherrschen sollte.


Von allem Anfang an stand das Musikspiel wie ein Elefant im religiösen Glashaus. Die Passionsgeschichte ist nicht nur historisch umstritten. Je nach dem wie man Schwerpunkte setzt, werden die Gefühle der einen oder der anderen verletzt. Der Schwierigkeiten dieses Drahtseilakts waren sich die Autoren vom allem Anfang an bewusst, dennoch wurden sie nach der Uraufführung in New York von allen Seiten mit Kritik überschüttet. Die Relativierung der Absolutheit des gängigen Jesusbild, die Thematisierung der Beziehung eines „Gottessohns" mit einer Prostituierten, die Nähe zu homophilen Fantasien, all dies kam am Broadway nicht sonderlich gut an. Dies führte dazu, dass das Musical unmittelbar danach wesentliche Änderungen und eine Entpolitisierung erfuhr. Erst die späteren Fassungen, insbesondere die australisch-englische und später auch die deutsche, wurden erfolgreicher.


Damit ist grundsätzlich gesagt, Religion und Musical eignen sich nur bedingt für einander. Völlig ungeeignet ist die Kombination dann, wenn religiöse Kreise ein Musical benutzen, um junge Menschen zur Religion zu locken.


Für die Historiker unter uns: „Jesus Christ Superstar" ist das erste Musical, von dem die Schallplatten schon gehandelt wurden, bevor das Stück auf die Bühne kam. Im Weiteren ist es das erste Musical, das ganz ohne gesprochene Texte auskommt.


Webber trifft Brecht

Das Stück enthält eine Infragestellung der etablierten Kirche, sucht aber gleichzeitig auch das Gespräch mit ihr. Helga Wolf, die Regisseurin, wurde 2006 zur besten Regisseurin gewählt. 2008 inszenierte sie bereits brillant „West Side Story" in Thun. Vor allem sie hat mich für diese Thuner „West Side Story" begeistert.


Erleben wir am Anfang die besseren Zeiten des Jesus bei Tageslicht, wird mit Einbruch der Dunkelheit auf der Thuner Seebühne die Geschichte Jesu immer trauriger. Dramaturgisch läuft die Inszenierung auf den absoluten Höhepunkt am Schluss hin, nämlich die verbrämte Kreuzigung Jesus, welche mit einem „megamässigen" Lichtshowakt - ähnlich der Helikopterlandung bei „Miss Saigon" - endet.


Helga Wolf ermöglicht auch ein kritische Distanz zum Stück, ganz im Sinne des Brechtschen Verfremdungseffektes, tritt doch plötzlich ein völlig abgefahrener Herodes im Hawaiitrikot mit Tänzerinnen auf, wird der zu Tode geweihte Jesus von übermotivierten Journalisten vor das Mikrofon gezerrt und macht Judas mit seinem Handy noch schnell einen Schnappschuss von seinem ehemaligen „Boss". Originell ist auch, dass in einer Szene Jesus und seine Jünger aus dem Publikum in die Bühne kommen. Inhaltlich findet eine absolute „Entkirchlichung" statt. Das Musical bietet eine Plattform für viele Gedanken, die sich der Zuschauer machen kann. Es geht um Unterdrückung und Widerstand, die Inszenierung ist offen und aktuell. Die Soldaten Roms treten in Gestapo ähnlichen Uniformen auf, Gefängnistürme lassen andere Gedanken zu. Mich verführte das Stück über die aktuelle Krise im Iran nachzudenken, aber auch für Reflexionen über die Finanzkrise ist Platz.



Speziell originell ist, dass die Priesterschaft in der Darstellung stark an die heutigen Konflikte der Kirche mit ihren Anhängern erinnert. Die Bühne und das Lichtdesign von Ueli Binggeli überzeugten durchgehend, obwohl immer vor dem gleichen Bühnenbild gespielt wird. Für das Tondesign ist Thomas Strebel verantwortlich, der zum ersten Mal in Thun das Timax-System einsetzt. Der Zuhörer kann so den gerade singenden Darsteller jederzeit orten. Ich habe eigentlich selten eine in allen Bereichen derart überzeugende Produktion in der Schweiz erlebt. Dies obwohl ich, wie gestanden, das Musical nicht sonderlich gern habe.


Ein überzeugendes Ensemble und ein bisschen Kritik

Die Musik von Webber ist unbestrittenermassen wunderschön. Laute Rockmusik im Musicaltheater war seinerzeit revolutionär. Grundsätzlich ist der Cast überzeugend. Insbesondere die Massenszenen gehen unter die Haut. Philipp Hägeli, der Lokalmatador, welcher im „Wettrennen" um die Titelrolle im „Tarzan" bekannt wurde, macht seine Sache gut. Er ist für mich aber nicht der Superstar der Aufführung. Er ist zu diskret und zumindest ich habe mich gefragt, ob dieser Jesus nicht an einem Burn-Out-Syndrom leidet. Demgegenüber legt Mischa Mang als Judas eine kaum zu überbietende Performance mit ungeheurer Bühnenpräsenz hin. Sein Gesang und seine Interpretation sind sehr eindrücklich. Eine überzeugende Leistung zeigt auch Ulrich Kratz als Pontius Pilatus und Simone Geyer als Maria Magdalena. Sie singt einen schönen Sopran, sie wirkt in ihrer Rolle sehr verinnerlicht.


Speziell gelungen ist die Darbietung des ersten Priesters von Michael Schüler sowie des Kaiphas von Christoph Stegemann. Seine wunderbare Stimme ist ein wahrer Genuss. Die Jünger Jesus wirken auf mich zu phlegmatisch, zumindest viele scheinen auf Drogen.


Die Kostümwahl ist unterschiedlich. Manche Outfits sind schwer interpretierbar und passen weder in die eine noch in die andere Zeit. Doch diese Fitzelchen der Kritik können nicht ein grosses Kompliment an Markus Pysall für das Kostümbild hindern.


Schlussfolgerung und Postskriptum

Den Thunern ist es wiederum gelungen, einen Supershowakt in einer einzigartigen Location zu schaffen. Es stellt sich nicht die Frage, ob ein Musicalfreund nach Thun reisen soll, dies scheint mir absolut klar. Die Frage lautet einzig, wann soll er hingehen. Die Antwort lautet, möglichst dann, wenn es nicht regnet, wie es mir gelang an der Premiere vom 11. Juli 2009.


Erlauben Sie mir ein Postskriptum. Insgesamt 350 Personen arbeiten an jedem Spieltag für die 2500 Zuschauer. Das Projekt ist mit 9 Millionen budgetiert, ein Grossteil über 6 Mio. wird mit dem Ticketing usw. eingefahren. Es bedarf aber notwendigerweise der Sponsorengelder. Hauptsponsor ist die UBS. Es ist der Bank, die teilweise zu Unrecht so in der Kritik steht, hoch anzurechnen, dass sie dennoch dafür besorgt ist, ihrer Kunden und der Öffentlichkeit mit diesem Musical etwas zurückzugeben.






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