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Lichtsammler - das Canon EF 200 f/1.8 L USM

Aktualisiert: 9. Feb. 2021

Wer kennt es nicht, man kauft ein Objektiv und ist nicht zufrieden damit. Doch schlimmer noch ist, wenn man einen anstelle eines Fehlkaufes einen Fehl-Ver-Kauf macht.

Kurz nachdem ich die 1D Mark III im Jahre 2007 gekauft hatte, kam das erste Canon EF 200 f/1.8 L USM in die Fototasche. Wegen Problemen mit dem Rücken habe ich es dann 2015 verkauft um es kurz vor Ende 2020 wieder zu beschaffen, der Bildlook ist einzigartig und mein Rücken inzwischen wieder in Ordnung.

Crush (Jeannine Michele Wacker) - Unternehmen Mitte Basel


Augen auf beim Gebrauchtkauf

Es ist schon erstaunlich, mit was für einer Selbstverständlichkeit gewisse Zeitgenossen versuchen, andere für dumm zu verkaufen. Da wird ein Canon EF 200 1.8 mit leichten Gebrauchsspuren angeboten und die Fotos zeigen ein Objektiv welches unter einem Panzer hervorgezogen wurde.

(Bilder als Beispiel von Gebrauchtplattform)


Der Frontring ist eine Acht, die Farbe wurde am Tubus mehr schlecht wie recht grossflächig ausgebessert, das Glas über der Distanzskala sowie die Geli fehlt und "ein paar Fussel" sprich Pilz hats im Innern auch noch. Das Ganze wird für schlappe 2400 Euro angeboten, sei das Objektiv doch ansonsten viel teurer.

Wenn man auf Plattformen wie eBay die Objektive anschaut, kommt einem das Grausen. Obiges Beispiel ist das Extremste aber kein Einzelfall. Bei einem läuft der manuelle Fokus hakelig (bei Focus-by-wire?), bei Zweien hats Pilz, einer schreibt das sich die Linsen separieren, zwei sind verdellt, drei haben "etwas Nebel welche aber die Abbildungsleistung nicht beeinflusst" und nur zwei scheinen wirklich in Ordnung zu sein.

Il Pirata (Alexandra Lubchansky, Michaela Mehring) - Opera Riehen

Warum sich also ein gebrauchtes 1.8er antun und sich nicht mit dem aktuellen Canon EF 200mm f/2.0 L IS USM mit Bildstabilisator zufrieden geben?


Ein aktuelles 200er kostet rund 5500 Franken und kann nach 2 bis 3 Jahren zu 3500 verkauft werden, ein Canon EF 200 f/1.8 L kostet im Moment zwischen 2300 bis 3500 Franken und kann in 2 bis 3 Jahren vermutlich zu 2000 bis 3500 verkauft werden. Ein Neues wäre somit teurer über diesen Zeitraum, sofern es keinen Schaden am Objektiv gibt.


Interessanterweise wird die baugleiche FD-Variante des 200/1.8 heute im Netz wesentlich teurer gehandelt wie das EF-Modell. Neben dem Preis ist da noch der Bildlook, welcher mir bei dem alten 1.8er-Objektiv besser gefällt.

Woyeck (Anne Weinknecht) - Theater Bern

Geschichte

Canon hatte im November 1988 das Autofokus-Objektiv EF 200mm f/1.8 L USM auf den Markt gebracht und ein Jahr später folgte sein manuelles Ebenbild FDn 200 f/1.8 L. Das FDn 200/1.8 sollte das letzte FD-Objektiv sein, welches Canon auf den Markt brachte. Die Produktion des Autofokusobjektives wurde 2004 eingestellt, dies vermutlich weil Canon seine Produktion auf bleifreie Glassorten umstellte.

Noch heute ist das 200/1.8 das lichtstärkste SLR-Objektiv, was sicherlich auch die noch heute grosse Nachfrage danach begründet. Sein Nachfolger EF 200 f/2.0 L IS kam erst 2008 auf den Markt. Der Nachfolger ist trotz Bildstabilisator mit 2.5kg rund 500g leichter wie das 1.8er.


Die Serienummern der produzierten Objektive gehen von 10'000 bis 17'999 und somit gab es 8000 Stück. Im Internet steht immer die Serienummer 11'000 als Start, jedoch finden sich im Netz einige mit 10'xxx. Ich habe keine Ahnung, ob die FD-Varianten eine eigene Nummerierung haben oder in den 8'000 enthalten sind, zumindest findet man im Netz auch Nummern zwischen 10'000 und 11'000. Leider wird das 200mm 1.8 schon lange nicht mehr von Canon repariert und so werden es von Jahr zu Jahr weniger, welche sich auf dem Markt finden und die Preise bleiben stabil oder gehen eher leicht nach oben.

Woyzeck (Diego Valsecchi) - Theater Bern

Von dem 200 1.8 gab es eine verbesserte 2.te Variante, welche in der Regel auch etwas teurer ist. Genaue Infos ab welcher Serienummer die Serie II des Objektives auf den Markt kam, ist nicht auffindbar. Diese Serie ist jedoch gut an der Beschriftung des Schalters für den Motor zu erkennen, bei der ersten Serie steht "AF-M" und bei der Zweiten "AF-MF". Der Wechsel dürfte so um die Serienummer 14'800 herum sein (Vermutung Ende 1995).


Die Zweite Serie hat denselben optischen Aufbau, aber die Vergütung soll besser und weniger anfällig auf Pilz sein. Gemäss Teileliste hat die Serie II eine neue Blendeneinheit erhalten, vielleicht hat es in der Serie 1 Probleme mit den Lamellen gegeben. Im Internet finden sich auch einige Bildbeispiele, welche bei Serie 1 Objektiven bei Blende 2.8 (und nur dort) eine sägezahnförmige Form der Unschärfekreise zeigen:

Die Frontlinse der Serie 2 erscheint auch grünlicher wie die erste Serie. Weiter sollen die verkitteten Linsen sich nicht separieren und die Blendenlamellen bei geschlossener Blende etwas runder abbilden. Da ich nie ein Objektiv der ersten Serie zum Vergleichen hatte, kenne ich dies nur vom Hörensagen.

Witzigerweise findet man nur bei >Canon Europe< einen Hinweis, dass das Objektiv als Serie 2 heraus kam, das Canon-Museum schweigt sich dazu aus:


Aber Achtung, im Netz habe ich auch Objektive mit 17'xxx Nummer gesehen, welche aber die Beschriftung "AF-M" haben. Vermutlich wurden hier zwei Sturzschäden miteinander verheiratet, eines vermutlich mit Glasbruch und das andere mit Dellen im Gehäuse. Ich möchte nicht wissen wie gut die Elektronik und die Justage der Optik noch ist. Wenn der USM-Motor stirbt kann auch nicht mehr manuell fokussiert werden.

Tattoo Basel

In der Praxis

Auch wenn es aus der Hand haltbar ist, irgendwann wird es mit der Zeit unkomfortabel und man wünscht sich ein Einbeinstativ. Das Gewicht der Frontlinse trägt nicht dazu bei das es gut ausbalanciert ist. Der Stativring lässt sich leicht drehen und hat alle 45 Grad einen Rastpunkt.

La Gazetta - Opera Basel

Der Autofokus ist bei One Shot sehr genau und muss dies bei einer Schärfentiefe von 1.7cm bei der Naheinstellgrenze auch sein (bei f/2.8 sind es 2.6cm). Obwohl der Ultraschall-Motor damals als sehr leise beim Fokussieren galt sind inzwischen die neuen Objektive einiges ruhiger. Die Fokussierung geschieht im Innern und die Frontlinse dreht sich nicht mit.


Ob man es mag oder nicht, das "focus-by-wire", es findet sich heute in vielen Objektiven. Man muss die Kamera einschalten, manuelles Fokussieren einstellen und erst dann kann manuell fokussiert werden.

«Das Land, das ich dir zeige» - Theater Biel-Solothurn

Das Objektiv besitzt einen Umschalter, um die manuellen Fokussiergeschwindigkeiten umzustellen, von Präzise (1: 720° von 2.5m auf unendlich) zu Standard (2: 360°) zu Schnell (3: 180°).


Wie auch die anderen Superteles hat auch das 200/1.8 ein Fokus-Preset. Nach dem Setzen mit dem Schiebeschalter kann jederzeit durch drehen des schmalen gerippten Ringes auf diese gespeicherte Stelle zurück gestellt werden. (Es kann sein, dass es mit den spiegellosen von Canon mit Superteles der ersten Gen. wie 300 L IS und 200/1.8 nicht funktioniert, muss ich noch ausprobieren)


Das Objektiv soll vor den Unbillen des Wetters geschützt sein, jedoch fehlt die heute an den L-Objektiven übliche Gummidichtung am Bajonett.

Mit dem Objektiv kommt kein Deckel für Vorne sondern ein Elefantenfuss (lederähnliche Haube E-162) welcher sehr umständlich zu handhaben ist. Leider sind die Metalldeckel der Firma Novoflex nicht mehr im Handel, aber wer Toperware im Küchenschrank hat soll sich nach einem runden Deckel für eine 12cm Dose umsehen, diese passen in der Regel perfekt auf das Objektiv.

Woyzeck - Theater Bern

An der Canon EOS R5 und R6 wird das Objektiv durch den internen Bildstabilisator der Kamera unterstützt. Mittels Fokussierung auf die Augen ist selbst bei Offenblende kein Fehlfokus bisher festzustellen. Schon mit der 1D Mark III war die Geschwindigkeit kein Thema und reichte für Eiskunstlauf, Tanz, Fussball und Basketball.

Abdulah Ibrahim - Stadtcasino Basel

Die Vignettierung ist mit 2 Blendenwerten nicht wenig, jedoch gerade bei Portraits unterstützt dies die Bildwirkung. Ab etwa Blende 2.8 ist die Vignettierung verschwunden. Das Objektiv ist empfindlich auf Streulicht und die wuchtige Sonneblende tut einen guten Dienst, wenn sie auch nicht immer hilft. Manchmal ist die Sonne im Bild und es gibt extreme Ghosts und Schleier überm Bild und beim nächsten Mal ist keines von beidem wirklich störend. Diese Eigenschaften machen es aber auch eigen und erkennbar, was ich von den modernen und optisch perfekten 200/2.0er nicht sagen kann, egal von welchem Hersteller.


Schöne Blendensterne ist nicht die Eigenschaft, welche ich bei einem Supertele suche. Mit 8 Blendenlamellen wird es auch nur eher langweilige 8-strahlige Sternen geben, ich habe es bisher jedoch noch nie ausprobiert. Auch im Theater oder bei Shows mit viel Gegenlicht hat es sich nicht ergeben, da ich es dort meist bei Offenblende einsetze und sich daher keine Sterne bilden können.

Il Pirata - Opera Riehen

Extrem weich und gefällig ist hingegen das Bokeh bei diesem Objektiv. Der Hintergrund verschmilzt ineinander und es hat keine störende scharf umrandete Unschärfekreise oder Zwiebelringe wie sie zum Beispiel bei einem Sony FE 55/1.8 auftreten.

Queensryche - Z7 Pratteln

Was immer wieder verblüfft ist die extreme Schärfe selbst bei Offenblende über den ganzen Bildbereich. Der 45MP-Sensor einer Canon EOS R5 wird ohne Probleme bedient und die Bilder sind selbst bei einer 1:1-Ansicht scharf, kontrastreich und sehr lebendig.

Il Pirata - Opera Riehen


Canon EF 200 f/1.8 USM vs EF 70-200 f/2.8 L IS

Warum soll man sich das schwere Teil antun? Einen vernünftigen Grund wie zum Beispiel "genug Licht" gibts heute nicht mehr, zu gut sind die Kameras selbst bei Iso 6400 und eine Blende von 2.8 tut es auch.

«Das Land, das ich dir zeige» - Theater Biel-Solothurn

200mm ist nicht die ideale Portraitbrennweite, werden die Ohren doch zu gross im Vergleich zur Nase. Um Gäste bei Events zu fotografieren und portraitieren sind 50 bis 85mm ideal, bei Events im Freien oder grossen Hallen sind es eher 100 bis 135mm. Hier ist meiner Meinung nach das 70-200/2.8 ideal, oder 50/1.2 und 85/1.2.

Tattoo Basel

Bleibt noch, weil die Optik und speziell deren Bilder Spass machen und einzigartig sind. Und schliesslich geht es auch um Spass bei der Fotografie.

Tattoo Basel


Fazit

Es gibt inzwischen bessere, schärfere, kontrastreichere und kompaktere 200mm Objektive, aber keines der computerberechneten Teile kommt an den Bildlook des 200mm 1.8 heran. Ein Nikon 200/2 oder ein Canon 200/2 sind perfekt, das 200/1.8 ist eigen und hat Charakter. Dies ist vermutlich zu einem Teil auf die Stoffe wie Blei im Glas zurück zu führen, welche heute nicht mehr verwendet werden dürfen.

Wenn es darum geht, ein Objekt vom Hintergrund zu isolieren und schnelle Verschlusszeiten zu erreichen wie zum Beispiel beim Ballet oder Eiskunstlauf, so ist diese Linse noch immer erste Wahl, wenn nur das Damoklesschwert der Nichtreparierbarkeit nicht wäre.



Technische Daten verwendetes Objektiv

EF 200mm f/1.8 L USM

Baujahr ca. UL=1997 (Ser.Nr. 15'8xx) und UO=2000 (Ser. Nr. 16'6xx)

Konstruktion: 12 Elemente in 10 Gruppen

Anzahl Blendenlamellen: 8

Kleinste Blende: 22

Naheinstellgrenze: 2.5m

Maximale Vergrösserung: 0.09x

Drop-In Filter: 48mm

Durchmesser und Länge 130 x 208mm

Gewicht 3'000g plus 230g Sonnenblende


Diagramm Canon EF 200mm f/1.8; blau=UD Glas


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