Text für imScheinwerfer: Guido Laredo - Fotos: Andreas Isenegger
Sara Wikström aus Schweden gehört zu den bekannteren Gesichtern des Basler Balletensembles. Sie steht beim hiesigen Theater bereits in ihrer 8. Spielzeit – für aktive Tänzer eine beachtenswert lange Zeit. In Kylián's Ballet «One of a Kind» - das am 24. September 2010 im Theater Basel die Schweizer Erstaufführung feierte – setzt sie wichtige, tänzerische Akzente.
Wir sind mit ihr in der Theater Kantine zum Interview verabredet. Pünktlich und mit einem freundlichen Lächeln begrüsst sie uns, obwohl sie sehr in Eile ist. In rund 45 Minuten steht das tägliche Training auf dem Programm. Und der Fotograf sollte vorher noch ein paar taugliche Porträt-Fotos der Artistin einfangen. Bei der überaus angenehmen und hübschen Erscheinung von Sara dürfte diese Aufgabe rasch umzusetzen sein... Dennoch, die Zeit ist knapp. Nach einer kurzen Einleitung geht es gleich ‘in medias res’:
Sara, weshalb bist Du das, was Du heute bist, eine Ballet Tänzerin? Wann hat alles angefangen? Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Ein eigentliches Schlüsselerlebnis hatte ich nicht. Ich war von klein auf schon immer sehr aktiv. Ich liebte es aufzutreten und im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Ausschlaggebend mag vielleicht gewesen sein, dass meine Mutter schon getanzt hat. Nun, jedenfalls hab ich mit vier Jahren mit dem tanzen angefangen. Zu Beginn war natürlich alles ein Spiel. Ich verspürte keinerlei Druck, auch nicht von Seiten der Erziehungsberechtigten.
Als ich dann neun Jahre alt war, lernte ich anlässlich einer ‘Road-Show’ die Royal Swedish Ballet School kennen. Ich wollte unbedingt dorthin. Ich mag mich noch erinnern, dass ich meine Mutter darum bat, mich dort anzumelden. Ich bestand die Audition (das Vortanzen) und die Geschichte nahm seinen Lauf...
Gab es Momente im Verlauf Deiner Ausbildung, in welchen Du am liebsten alles hingeschmissen hättest?
Ooch, solche Momente waren selten. Aber klar, wenn man als Tänzer eine Verletzung erleidet, dann fühlt man sich nicht gut. Doch ich bin stur und verfüge über gesunden Ehrgeiz (Sara lächelt dabei verschmitzt). Zudem verliere ich meine Ziele nicht aus den Augen. Deshalb überstehe ich auch schwierige Zeiten.
Viele Leute verkennen, wie viel Schweiss und Arbeit hinter einer Aufführung steckt. Wie sieht der Trainings-Alltag eines Tänzers am Theater Basel aus?
Also, am Vormittag steht jeweils eine Trainingseinheit auf dem Programm, die rund 90 Minuten dauert. In dieser Einheit werden Technik und Physis trainiert. Das Training ist progressiv aufgebaut. Das heisst, nach dem Aufwärmen folgen Koordinations-Übungen. Zum Schluss dann führen wir komplexe Sprünge und Drehungen aus. Anschliessend, am Nachmittag proben wir die aktuellen Aufführungen. Diese Proben sind von einer Mittagspause unterbrochen und dauern netto etwa vier Stunden.
Hab ich das richtig verstanden, täglich?
Ja klar. Täglich.
Das ist ein Mammut-Programm. Muss ein Tänzer auf ausreichenden Schlaf und eine richtige Ernährung achten?
Nun, grundsätzlich schon. Mit den Jahren kennt ein Tänzer aber seinen Körper und weiss genau, was dieser braucht. Unter anderem viel Pasta... (für einen kurzen Augenblick blitzt es wieder auf, dieses charmant-verschmitzte Lächeln.) Schliesslich ist der Körper unser Instrument, mit welchem wir uns ausdrücken.
Kommen wir auf Kylián's Ballet «One of a Kind» zu sprechen. Es wird keine Geschichte getanzt. Jedoch werden Lebensstationen, wird das Menschsein, werden Gefühle und Emotionen getanzt. Deine Bewegungen stehen dabei im Kontrast zu denen anderer Tänzer - etwa zu den oftmals kontrahierten Bewegungen von Ayako Nakano. Zudem dünken mich Deine Bewegungen ‘grosszügiger’ und zuweilen klassischer. Ist das zutreffend? Wie muss man diese Gegensätze verstehen?
Diese Frage will ich offen lassen. Die von Dir gemachten Feststellungen mögen zutreffen. Was sie aber zu bedeuten haben, muss jeder für sich selber rausfinden. Genau dieser Ermessensspielraum macht «One of a Kind» so besonders.
Auch wir Tänzer kommen in den Genuss dieser interpretatorischen Freiheit. Bei den Proben hat uns Kylián nicht gesagt: «Tu dies, mach das...». Vielmehr gab er uns «Bilder» mit auf den Weg, im Sinne von: «Stell Dir bei dieser Szene vor, Du würdest dies oder jenes tun». Für einen Tänzer ist es erfüllend, sich in solchen Freiräumen einzubringen.
Es gibt eine Szene im 2. Akt – meine ganz persönliche Lieblingsszene in «One of Kind» – in welcher Du quer über die ganze Bühne tanzt und zum Schluss ein unschuldiges Cello bestrafst. Du überschreitest Räume und Grenzen, die durch Licht und Bühnenbild gezogen sind. Sara Wikström setzt sich über Grenzen hinweg. Ist dem so? Was sind das für Grenzen? Weshalb tanzt Du diesen Part?
Auch diese Frage will ich offen lassen. Jeder muss seine eigene Interpretation finden. Ich mag mich jedenfalls gut erinnern, wie mir Kylián zuhielt, diese Szene mit viel Energie und Ausdruck umzusetzen. Kylián wollte mehr «Aggressivität», er wollte, dass ich von 0 auf 100 beschleunige.
Im dritten Akt hast Du auch ein wunderbares Duo mit Manuel Renard. Ihr tanzt Wellenbewegungen innerhalb der eigenen Achse. Die Bewegungen sind langsam, anmutig und fesselnd zugleich. Doch was bedeutet diese Szene?
In dieser Szene geht es um das Fühlen eines Partners, auch wenn man diesen nicht sieht. Wir berühren uns etwa an den Armen, ohne uns dabei anzuschauen. In diesem Sinne geht es auch um das Bewusstsein eines jeden.
Sara, wie siehst Du Deine Zukunft nach der aktiven Laufbahn?
Ich beabsichtige die Laufbahn einer Choreographin einzuschlagen. Auf Einladung konnte ich bereits an einem internationalen Choreographie Wettbewerb in Dänemark teilnehmen. Anlässlich des Dance Lab 2007 betätigte ich mich ebenfalls als Choreographin.
Die Herausforderungen der Choreographie erachte ich als sehr reizvoll und vielseitig. Als Choreographin kann ich meine Erfahrungen als Tänzerin einer nachfolgenden Generation weitergeben. Das Lehren und die Wissensvermittlung an sich finde ich erstrebenswert.
Danke für Deine Zeit und für das Interview.
Gern geschehen.
Zum Schluss geht alles sehr schnell. Das nächste Ballet Training ruft. Auf der Terrasse wirft sich die Künstlerin für den Fotografen noch rasch in Pose. Dann ist sie weg. Verschwunden. Ballet ist nun mal eine flüchtige Kunst...
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